"The show must go on!"
"The show must go on!"

 

„The show must go on! Ein Alpenstück.“

 

2009. Installationsansicht

Künstlerhaus Heinrichsruh

Mecklenburg/ Vorpommern

 


Die Gipfel, im Allgemeinen die Berge und im Besonderen die Alpen, sind dazu gemacht, bestaunt zu werden. Davon haben Menschen Zeugnis gegeben in Schriften, die die Besteigung der Gipfel schildern, ganz oben auf der Welt Welt zu stehen. Dort hinterließen sie ein Zeichen ihrer flüchtigen Anwesenheit, und begannen den Abstieg.
Tausende Andere haben nach diesem auch das Erlebnis des Gipfelstürmers gehabt. Jedem einzelnen Wanderer einer bis heute nicht mehr gezählten Menge von Alpintouristen ist der Wunsch nach einem ungebrochenen  Naturerlebnis und einer gesteigerten Selbsterfahrung ein Anliegen.  Nirgendwo ist man dem Himmel so nahe wie auf dem höchsten Berg.

Die Höhe der Alpen ist in Andreas Münzers gleichnamigen Roman ein  Streitpunkt, in dem der Vater den Söhnen die Spekulation über die  Meterzahl der Gipfelhöhe nicht gestattet, denn die ist exakt  benennbar. Die kindliche Fabuliererei wird in einer mechanistischen  Erwachsenenwelt nicht geduldet, es gibt Exaktheiten.
Aber nun ist bekannt geworden, die Gipfel verändern sich. Wo der Mensch hingeht, dort verändert er die Dinge, das ist unvermeidbar. Wie einst Hannibal trampeln sie durch Jahrhunderttausende Gestein. Das war dem Gestein nicht ganz egal, auch wenn es geduldig wie das  Sprichwort ist. Doch die immerwährenden Bergmassive sind nicht ewig, sie verändern sich.
Die Gletscher schmelzen ab, der Permfrost schmilzt, und so löst sich der Verband der Berge, was wir inzwischen wissen. Wir leben in einer exakten Welt, die dies messen lässt, geologisch,  seismographisch und so weiter. Die naturgetreue Darstellung in der romantischen Malerei gibt die Umweltbedingungen ihrer Zeit wieder, der Meteorologe von heute
könnte klimarelevante Aussagen zum Zeitpunkt der Bildentstehung machen. So gibt uns die Kunst weit zurückreichende Zeugnisse dazu. Die Naturdarstellung, spätestens seit der Romantik, hat  Transformationen durchlebt, bis sie in einer Gleichsetzung mit  Heimatbildern, mit röhrendem Hirsch am Gebirgsweiher zwischen dem Wahn auf dem Obersalzberg und der Sehnsucht nach einem Stück heiler Welt die Mentalitäten und Ideologien spaltet.
Das wahrhaftige Naturerlebnis kann nicht auf der Fototapete stattfinden, die
Naturschwelgerei bleibt im Motiv. Die Bildaura ist kaputt. Und trotzdem mag man, was man sieht, den Berg als Kulisse und die Wahrnehmung einer reproduzierten Realität.
Anke Gesell weiß dies und reagiert auf diese gebrochene Ursprünglichkeit und die vielfach beschworenen Tode der Malerei mit der Übertreibung der Mittel: überbordendes Gold, Silber, Bronze, dazu  Artikel aus dem 99 Cent-Laden.
Der Hirsch und die Almkuh geben sich die Ehre, und sie wissen, dass wir sie sehen wollen, obwohl wir sie eigentlich nicht mehr sehen können.
"Das touristische Treiben verdichtete sich um 12.35 zu einer Wolke, erhob sich und gab kurz das Bergmassiv frei", "Ode an das Edelweiß"  oder "Rock the Alps, Karaoke" sind Titel, deren ironische Distanz für sich spricht. Dabei ist es alles nicht so einfach, wie es scheint, auf "Es ist schon ein Kreuz mit den Alpen" verdecken uns  Gipfelkreuze als diffuses Raster den Gipfel. Als würde uns jemand sagen, der Aufstieg ist hart, und was kommt dann? Der Almödie fährt schon längst Traktor.
Das Jodeln bringt nur was mit dem Echo, und dann, wenn dies immer schwächer wird, sind die Begeisterung und das Erstaunen, die das Anrufen der Felsmassive auslöst, trotz alledem, ungebrochen.

Denise van de Beek