"Gibts nicht geht nicht."
"Gibts nicht geht nicht."

 

„gibt’s nicht geht nicht.“

 

 

2010. Installationsansicht.

Projekt- und Hörgalerie AundV

Lützner Str. 30, Leipzig

 

 

„Der Berg schreit!“ - Die „Projekt- und Hörgalerie A und V“ zeigt Klima-Kunst von Anke Gesell

 

Keinen Zentimeter Weißraum gönnte Anke Gesell ihren Gemälden. Auf sechs Quadratmetern Hängefläche ließ sie Leinwand an Leinwand grenzen – und überzeugte damit die Jury der Dortmunder Kunstmesse, die ihr die „Best Box 2009“ verlieh. Das war vor einem halben Jahr. Nun in der Leipziger „Projekt- und Hörgalerie A und V“ kann sich die junge Künstlerin weiträumiger ausbreiten. Eine klassische Hängung wird man dennoch nicht erwarten dürfen von einer, die gern die ästhetischen Prämissen des Betrachters unterwandert. Ab dem 28. Mai werden ihre giftgrünen Wiesen und schneebedeckten Berge hinaus strahlen durch die großen Schaufenster des ehemaligen Ladenlokals in der Lützner Straße.

 

Frech bedient sich Anke Gesell der Urbilder medial vermittelter Heimatgefühle. Alpen glühen, Gletscherzungen lecken, Gipfel kreuzen und die Almkuh frisst Edelweiß. Was bislang den Heimatmalern altmeisterlichen Stils und Werbefachmännern vorbehalten war, rückt Gesell mit einem Augenzwinkern in ein neues, hartes Licht und bricht damit eines der letzten Tabus des Kunstmarktes. Vielleicht weil sie gerade nicht in einem Bergdorf, sondern in Jena aufgewachsen ist, könne sie sich diese Freiheit nehmen, spekuliert die 38-Jährige.

 

Dennoch bieten die Bilder kaum Gelegenheit, sich in ihnen heimisch zu fühlen. Man traut dem Bergfrieden nicht. Von den artifiziellen Landschaften geht etwas beunruhigend Rätselhaftes aus, ein Hintergrundrauschen. Auf einem Triptychon strahlt zwischen zwei Matterhörnern eine Mandorla aus Wäscheklammern; gelbe Turbo-Tulpen sprießen über gefalteten Eismassen. Das Hintergrundrauschen in ihren Werken ist der Sound eines globalen Naturschauspiels, das die Kurzweiligkeit menschlichen Lebens sprengt: der Klimawandel. Hier, mitten in Lindenau, ruft der Berg, er schreit sogar. Und wer es vernimmt, verliert den Glauben an die Ewigkeit der Berge.

 

„Wie viele Katastrophen braucht der Mensch, um zu lernen? Was wird aus unseren Motiven, wenn sie aus unserem realen Umfeld verschwinden oder sich in andere Gegenden verlagern?“ fragt Anke Gesell. Oder fragt das der Hirsch mit dem goldenen Geweih, Auge in Auge mit Freund und Feind? Ethische und ästhetische Überlebensfragen sind in Gesells Werken miteinander verwoben und lassen den Betrachter innehalten.

 „Die Situation verschärft sich. Etwas verändert sich massiv. Letztlich kann sich dem keiner entziehen“, sagt die Leipziger Künstlerin. Draußen vor den großen Fenstern ihres Ateliers tragen die Baumkronen ihr frisches Grün. Drinnen auf der Staffelei erblickt ein Eisbär in einer Schneekugel das Licht der Welt.

 

Je intensiver sich Anke Gesell mit der Hinfälligkeit der Eisberge, mit dem Tauen der Permafrostböden und dem Bröckeln der Alpen auseinander setzte, um so mehr wandelte sie sich selbst von der Fotografin zur Malerin. Dieser langsame schöpferische Prozess, der sich farblich nicht nur auf der Leinwand abzeichnet, sondern auch immer Spuren auf der Haut hinterlässt, ist Gesells Versuch, momenthaft greifbar zu machen, was menschliche Vorstellungskräfte übersteigt, obwohl es ringsum passiert. Dieses Ausprobieren, Verwerfen, Übermalen, dieses allmähliche Gedeihen verleiht ihren Bildkompositionen große Nachhaltigkeit.

 

Info: Die Ausstellung „gibt’s nicht geht nicht“ mit Gemälden von Anke Gesell ist in der „Projekt- und Hörgalerie A und V“, Lützner Straße 30, von Freitag, 28.5., bis Donnerstag, 3.6, zu sehen. Die Vernissage beginnt um 19 Uhr. An den weiteren Tagen ist die Ausstellung von 14 bis 18 Uhr geöffnet.

 

Christine Kükenshöner, LVZ vom 28.5.2010, S. 10