„Elemente – Landschaften von Anke Gesell und Anne Wölk“

 

 

2011. Galerie Isabelle Lesmeister,

Regensburg

 

 

„Die Elemente, das Elementare – ein gewichtiger Titel. Wir erinnern uns:

Die griechischen Vorsokratiker unterscheiden vier Elemente, vier

Urstoffe, die die Grundlage allen Seins bilden: Feuer, Wasser, Luft und

Erde. Sie sind die basalen Elemente aller belebten und unbelebten Natur

– schlichtweg elementar.

Von daher scheint auch der Titel dieser Ausstellung durchaus richtig

gewählt. Denn auch bei den hier ausgestellten Werken handelt es sich

um Darstellungen des Elementaren – der uns umgebenden Natur und

der vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Mensch, Natur und – nicht

zuletzt! – Kunst.

Diese Ausstellung präsentiert uns zwei junge Künstlerinnen, die sich also

bei den hier versammelten Arbeiten dem ab und an als etwas angestaubt

verrufenen Genre der „Landschaftsmalerei“ verschrieben haben. Doch

angestaubt sind die Werke von Anne Wölk aus Berlin und Anke Gesell

aus Leipzig nun wirklich nicht.

Wölk und Gesell folgen in ihren Arbeiten zur Landschaft der frischen

Spur einer alten Tradition, die richtig verstanden schon immer mehr war

als reine Naturnachahmung, als das rein sekundäre Abbild einer großen

Idee. Vom herrlichen Landschaftssfumato Leonardos bis hin zu den

utopischen Landschaften der Romantik, ja gar bis zur glattpolierten

Landschaft der Werbe- vorzugsweise der Bierwerbeindustrie war die

gezeigte Landschaft immer schon selbst Idee, nicht verifizierbares

Abbild derselben.

Man muss hier nicht mit dem falsch verstandenen Kampfbegriff der

Mimesis – der ja im aristotelischen Sinn viel mehr bedeuten sollte als

reines Abbild – operieren, um deutlich zu machen, dass sich

ikonographisch hinter dem Landschaftsbild schon seit jeher mehr

versteckte als der reine Augenschein. Selbst dem scheinbar veristischsten

Versuch die bloßen Eindrücke der Natur nachzuahmen – also den

Naturstudien des Impressionismus – ist es nicht nachhaltig gelungen, die

Flüchtigkeit des Eindrucks in ebenso flüchtige Kunst zu übersetzen;

Legionen von Hotels und Arztpraxen können dies mit reich bestückten

impressionistischen Wänden im wahrsten Sinne des Wortes eindrucksvoll

bestätigen.

So hat jede Generation aufs Neue ihre Landschaft, ihre Version jenes

heterotopen Spiegelidylls zwischen Wirklichkeit und Illusion zu finden.

Anke Gesell und Anna Wölk haben jeweils verschiedene, ich möchte fast

sagen grundverschiedene Ansätze zur Bewältigung dieser Aufgabe

gefunden. Es sind verschiedene pikturale Lösungen, die sich aber –

zumindest aus ideenhistorischer Sicht – fast schon wieder verblüffend

ähneln. Beide übersetzen die überwältigende Einsicht in die Erhabenheit

der Natur – jene Schlüsselerfahrung der beginnenden ästhetischen

Moderne – in die Sprache des Postmodernismus. Sie ironisieren, sie

zitieren, sie beten an und zerstören zugleich. Bei Anke Gesell wird

beispielsweise eine Kuh zur Zeugin einer in wunderbarer malerischer

Abbreviatur auf die Leinwand gebrachten Gletscherschmelze. Sie

baumelt an einem Lastzug, bildsemantisch gleichsam als von

mechanischen Kräften gehaltener Fremdkörper inmitten des gewaltigen

Naturschauspiels, strukturell als aberwitziges Zitat der klassischen

Repoussierfigur romantischer Prägung – kein Mönch mehr am Meer,

sondern eine Kuh am Gletscher.

Dies ist eine so einfache und doch so nachhaltige Bilderfindung, dass sie

den Betrachter schmunzelnd, staunend und am Ende gar ratlos

zurücklässt. In dieses Staunen mischt sich das Gelächter des Nonsens,

denn jenes Werk ist sprechend mit „Gletscherschmelze? Will ich sehen!“

betitelt. Ökologische Mahnung, der Schutz des Tierrechtes, die große

ernüchternde Ernsthaftigkeit unserer Zeit und ihrer Probleme – all das

könnte man also aus Gesells Werk durchaus herauslesen, ließe es einem

die Zeit, solche politisch korrekten Überlegungen überhaupt anzustellen.

Doch stattdessen wischt der Nonsens unsere Betroffenheit ganz einfach

hinweg und hinterlässt gerade so – ex negativo – größere Spuren als es

so manches mit „Agit Prop“ überschriebene Tableux jemals gekonnt

hätte.

Ganz ähnlich ergeht es uns mit dem großformatigen Werk „Das

touristische Treiben verdichtete sich um 12.35 zu einer Wolke, erhob

sich und gab kurz das Bergmassiv frei, so beobachtet 2008“, das uns in

handwerklich bestechender Manier zu einem kunsthistorischen Parforce-

Ritt motiviert. Wirkt die erhabene Gebirgsformation noch wie ein

realistisches Naturabbild, so bilden die in malerischster Abbreviatur dargestellten Touristen einen Traditionszusammenhang von Max Ernsts

Decalcomanie über Jackson Pollocks Drippings bis hin zu Arnulf

Rainers manischer „Über-Malerei“. Doch sowohl der durchaus sinnvolle

Appell gegen den Massentourismus als auch die kunsthistorische

Ahnengalerie wird hier ironisiert – im freien Zitatenspiel der

schmunzelnden Absurdität übergeben.

Die Grundhaltung dieser tief empfundenen Landschaftmalerei ist also

weniger Romantik als sinnenfreudiger DADA. Und wir als Zuschauer

sind dabei – ganz ähnlich wie es uns mit den großen Nonsensgesten

Duchamps geht – dazu aufgefordert, uns einen eigenen Sinn inmitten

des scheinbar Sinnlosen zu suchen. Das ist das Geheimnis der

polyvalenten Zeichen – und das Geheimnis dieser ganz ernsthaft

unernsten Malerei.

Anne Woelk hingegen führt uns in ihren – gerne auch tiefer gelegten –

Horizonten eine andere Welt vor. Eine Welt, die noch stärker nach den

Symbolen des Heutigen schreit. Sie collagiert Filmstills mit wüsten

Eislandschaften, erstarrt vor der Schönheit von blickumgreifendem

Grün, lässt sich aber auch von der Graffitilandschaft der Großstadt

verzaubern. Ihre Malerei kann einen Zug ins Schrille, ins Pop-Bunte

bekommen und findet doch auf wundersame Weise immer wieder zu

den hier und heute gezeigten Landschaften zurück.

Anne Woelk begreift die Landschaft als etwas Elementares, als etwas

Essentielles, das sich in ihrer Malerei ebenso schnell mit dem Einbruch des Nachkriegswenderealismus mischen kann, wie mit dem mythischen

Neosurrealismus eines Neo Rauch. Dabei finden ihre Arbeiten durch die

Collage verschiedenster disparater Bildelemente zu einer – um in der

Sprache des Films zu bleiben – schnell geschnittenen, fast

atemberaubenden Mischung aus Realismus, Surrealismus im besten

Sinne und veristischer Gegenwartsbeobachtung. Dies verleiht ihrer

Malerei zugleich ikonische und ikonoklastische Qualitäten.

In ihren Landschaften verwischen die Grenzen zwischen Gegenstand

und Abstraktion. In „Blue Lights“ treffen scharfe blaue Dreiecksflächen

auf eine surreale Eislandschaft, die man unschwer als Derivat jener kühlmonumentalen

Landschaft von Caspar David Friedrichs „Gescheiterter

Hoffnung“ entziffern kann.

Die utopische Romantik der „Großen Abstraktion“, wie sie Kandinsky

nennt, trifft sich im unendlichen Farb- und Assoziationsraum mit der

Erhabenheit der Landschaftsmalerei Caspar David Friedrichs. Nur dass

auch diese Zitatenrevue postmodern gebrochen bleibt. Die großen

Utopien der Vergangenheit werden anzitiert, um jedoch gleich wieder

verworfen, karikiert zu werden.

Der heilige Ernst dieser Arbeiten verharrt in der Pose des

Benjaminischen Allegorikes, der die Bruchstücke der Welt findet, sie

allerdings nicht mehr zu einem großen Ganzen zusammensetzen kann.

So ist auch die Malerei Anne Woelks eine zutiefst ironische Kunst –

ironisch aber im Sinne der Romantik: eine Malerei, die sich beständig selbst thematisiert und sich im endlosen Regress des Kommentars, der

Reflexion wiederfindet.

Kommen wir zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen zurück: Die

Landschaften dieser beiden Künstlerinnen sind ohne Zweifel heutige

Landschaften, postmodern gebrochen und ironisiert. Mal subtil – mit

dem Florett der Allegorie –, und mal brachial mit dem Eisenschwert –

oder Hottepferd? – des großen DADA. Sie sind Bilder, die wiederum aus

Bildern bestehen, Zitat gewordene Zitate, die gerade im Modus des

Zitierens des Anderen den Blick auf ein tief empfundenes Eigenes

freigeben. Kurz – diese Landschaften gehören zu uns, wie „Et in arcadia

ego“ zum Lebensgefühl des Barock gehört haben mag.

Hier sind diese Arbeiten tatsächlich im Wortsinn elementar – sie sind der

grundsätzliche Stoff aus dem unsere realen und unseren ästhetischen

Träume gemacht sind.“

 

Sebastian Karnatz, Kunsthistoriker